10
Dezember
2020

Der größte Schock unserer Heimatgalaxie

eROSITA entdeckt riesige Blasen in der Milchstraße

Sie ist fast so groß wie die gesamte Milchstraße, kreisrund und absolut außergewöhnlich – so könnte man die Struktur beschreiben, die Forscher bei der ersten kompletten Himmelsdurchmusterung mit dem deutschen Röntgenteleskop eROSITA an Bord der russischen Raumsonde Spektrum-Röntgen-Gamma (SRG) am Südhimmel entdeckt haben. Gemeinsam mit einer ähnlichen Struktur am Nordhimmel – der sogenannte „Nordpolar-Sporn“ – erinnern beide Blasen an eine überdimensionale, galaktische Sanduhr.

Credit: MPE/IKI
Die eROSITA-Blasen, Credit: MPE/IKI

Eigentlich dachten Forscher, diese nördliche Erscheinung, die schon 1993 mit dem deutschen ROSAT-Röntgenteleskop kartiert wurde, stamme von einer frühen Supernova-Explosion. Doch zusammengenommen scheinen die nördliche und die südliche Struktur stattdessen beide aus dem galaktischen Zentrum auszutreten. „Die wahrscheinlichste Erklärung für diese enormen Gebilde ist, dass vor einigen zehn Millionen Jahren unfassbar viel Energie aus dem galaktischen Zentrum in die heiße Gashülle (Halo) um unsere Galaxie ausgestoßen wurde, was eine schnelle, große Schockwelle ausgelöst hat. Welches Ereignis dahinter steckt, ist noch nicht ganz geklärt. Möglicherweise handelte es sich um einen Ausbruch des Schwarzen Lochs, um das unsere Milchstraße kreist. Wenn große Mengen Materie eingesaugt werden, kommt es zu diesen gewalttätigen Eruptionen. Es kann aber auch sein, dass dieses Ereignis auf eine intensive Phase der Sternenentstehung zurückzuführen ist“, erklärt Dr. Thomas Mernik, eROSITA-Projektleiter im Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), mit dessen Unterstützung eROSITA vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik (MPE) gebaut wurde. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungsarbeit wurden am 9. Dezember 2020 im Fachmagazin Nature Astronomy veröffentlicht.

Credit: MPE/IKI
Die eROSITA-Himmelskarte als Falschfarbenbild, Credit: MPE/IKI

Energie von 100.000 Sternenexplosionen

Schon vor zehn Jahren sorgte die Entdeckung ähnlicher Blasen durch das US-amerikanische Weltraumteleskop Fermi für Furore. Diese Strukturen – Fermi-Blasen genannt – sind etwa halb so groß wie die eROSITA-Blasen und im höherenergetischeren Gamma-Bereich sichtbar. Das Funktionsprinzip ist vermutlich das gleiche. Wahrscheinlich sind beide Phänomene sogar Ausdruck desselben unterliegenden Mechanismus: Damit sie entstehen können, muss extrem viel Energie freigesetzt werden. Sie entspricht etwa 100.000 Sternenexplosionen. Das bedeutet, dass das Zentrum unserer Milchstraße in der Vergangenheit nicht immer ein so ruhiger Ort war wie heutzutage. Tatsächlich kann man bei anderen Galaxien durchaus beobachten, dass ihre Zentren äußerst aktiv sind – man spricht hier von Aktiven Galaxienkernen. Bei ihnen sieht man gewaltige Ströme von Plasma (Jets) die entlang ihrer Drehachse in das intergalaktische Medium ausgeschleudert werden.

Credit: MPE
eROSITA-Blasen in schematischer Darstellung, Credit: MPE

Galaktische Teilchenbeschleuniger

„Diese Schockwellen wirken wie Teilchenbeschleuniger und katapultieren Elektronen auf Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit. Wenn diese Plasmaausstöße auf die umliegende Halo der Milchstraße treffen, erzeugen sie dort Störungen in der gleichmäßigen Struktur. Da Halos eine Temperatur von Millionen von Grad haben, kann man sie jedoch nur mit einem Röntgenteleskop wie eROSITA sichtbar machen“, erklärt Mernik. Die vom deutschen Röntgenteleskop gelieferten Daten ermöglichen nun einen Blick in die wilde Vergangenheit der Milchstraße. Doch vieles bleibt noch Ungewiss. Weitere Erkenntnisse erhoffen sich die Forscher von den noch folgenden Himmelsdurchmusterungen. Denn die eROSITA-Bubbles wurden während der allerersten von insgesamt acht Surveys entdeckt. Mit jeder weiteren Himmelsdurchmusterung werden die Wissenschaftler mehr Informationen sammeln. Insbesondere die Spektren von Teilbereichen dieser Gebilde werden es ermöglichen, die Fülle der chemischen Elemente, den Grad ihrer Ionisierung und die Dichte und Temperatur des Gases in den Blasen präziser untersuchen zu können. Die Forscher können damit auch die Position der Schockwellen besser bestimmen und abschätzen, wann Materie ausgestoßen wird. „All diese Informationen könnten zukünftig dazu beitragen, dass wir die Entwicklung unserer Galaxie besser verstehen“, betont Mernik.

Credit: DLR (CC-BY 3.0)
eROSITA hat den gesamten Himmel im Blick, Credit: DLR (CC-BY 3.0)

Riesige Blasen im Heuhaufen des Universums

Doch warum ist diese riesige galaktische Sanduhr anderen Röntgenteleskopen bislang verborgen geblieben? „Man benötigt dafür ein Teleskop mit einer hohen Empfindlichkeit und Auflösungsvermögen einerseits und einem großen Gesichtsfeld andererseits. Betrachtet man nur kleine Himmelsausschnitte, kann man so gigantische Strukturen nicht erkennen. Die sprichwörtliche Nadel wird zu groß für den Betrachter des Heuhaufens. Das eROSITA-Instrument wurde aber vom MPE für genau diesen Zweck gebaut – nämlich um den gesamten Röntgenhimmel zu kartieren“, erklärt Mernik. „Es ist eine Entdeckungsmaschine für die größten Strukturen im Universum.“

Spektrum-Röntgen-Gamma – eine Raumfahrtmission mit vielen Partnern

Spektrum-Röntgen-Gamma (SRG) ist eine Raumfahrtmission mit vielen Partnern. Auf russischer Seite sind die Raumfahrtagentur Roskosmos, der Raumfahrtkonzern Lavochkin sowie das Institut für Weltraumforschung der Russischen Akademie der Wissenschaften (IKI) eingebunden. Das deutsche Röntgenteleskop eROSITA wurde mit der Unterstützung des DLR Raumfahrtmanagements vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) Potsdam sowie den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Hamburg und Tübingen entwickelt und gebaut. Zudem bereiten die Universitäten München und Bonn die wissenschaftliche Auswertung der eROSITA-Daten mit vor. Die am deutschen Teleskop beteiligten Partnerinstitute haben Software für die Datenanalyse, Missionsplanung und Simulationen erstellt sowie Teile der Hardware beigestellt. Die hauptsächliche Hardwareverantwortung lag aber im Wesentlichen beim MPE. Hier wurden viele Komponenten entwickelt und zum Teil in Partnerschaft mit ausgewählten Industrieunternehmen gefertigt. Auch der Zusammenbau des Teleskops fand in Garching statt. Von hier aus wurde das Teleskop nach Moskau verbracht, um gemeinsam mit dem russischen Teleskop auf die Satellitenplattform integriert zu werden.

 

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