16
September
2019

Gezeitengletscher in Grönland - TanDEM-X-Höhenmodelle belegen stärksten Rückgang seit 80 Jahren

Der Kangerdlugssuaq-Gletscher ist der größte Gletscher an der Südostküste Grönlands und mündet in den gleichnamigen Fjord. Die Gletscherfront, die in der Vergangenheit durch eine sogenannte Eis-Mélange, ein dichtes und starres Paket aus Meereis und gekalbten Eisbergen geschützt war, zieht sich aber zunehmend zurück und der Gletscher kalbt jedes Jahr etwa 24 Kubikkilometer Eis in den Ozean. Diese Menge entspricht etwa fünf Prozent der Eismenge, die jährlich vom gesamten grönländischen Eisschild abgetragen wird. Anhand einer Zeitserie von 150 TanDEM-X-Höhenmodellen des Kangerdlugssuaq-Gletschers haben Wissenschaftler der Swansea University in Großbritannien gemessen, wie stark der Gletscher an Höhe verliert.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Landsat-Bild (18. Juni 2016) und Lageplan des Kangerdlugssuaq-Gletschers im Südosten Grönlands. Quelle: DLR (CC-BY 3.0).

Die Gletscherphysik im Nordpolarmeer

Ein Gletscher reagiert sehr empfindlich auf Temperaturschwankungen, weil er direkten Kontakt zum Meer und zur Atmosphäre hat. Normalerweise bildet sich im Winter mit der Eis-Mélange ein natürlicher Schutzschild, der das Kalben von Eismassen einschränkt oder gar ganz verhindert. In den Sommermonaten ist der Schutzschild nicht vorhanden und es kommt zu einem verstärkten Kalben des Gletschers.

In den Jahren 2017 und 2018 wurde die Mélange wahrscheinlich durch eine Kombination aus Luft- und Meereserwärmung geschwächt, sodass der Gletscher auch während der Wintermonate große Eismassen verlor. Bis zum Ende des Sommers 2018 - nach zwei Jahren ganzjähriger Abkalbung - war der Kangerdlugssuaq-Gletscher weiter ins Landesinnere zurückgezogen als jemals zuvor in der 80-jährigen Beobachtungsgeschichte. Die Analyse stützt sich auf hochaufgelöste Radardaten der TanDEM-X-Satelliten aus den Jahren 2017 und 2018 und auf digitale Höhemodelle, die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) speziell für das Forscherteam aus Wales erstellt wurden.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Überall dort, wo sich die Gletscheroberfläche über der Flotationshöhe befindet, liegt der Gletscher auf dem Untergrund. Bis zum 9. Mai 2018, nach zwei Jahren des Rückzugs, hat der Gletscher seine fünf Kilometer lange schwimmende Zunge verloren. (Topografie des Gesteins unter dem Eis von IceBridge BedMachine Greenland, Version 3). Quelle: DLR (CC-BY 3.0).

Grundsätzlich verliert ein Gletscher schneller an Höhe, wenn er sich horizontal zurückzieht. Glaziologin Suzanne Bevan und ihre Kollegen kartierten die Tiefe von Gletscherbett und Fjordboden - und wissen damit genau, wo der Gletscher über dem Wasser schwebt und wo er "an Land" ist. Der Vergleich der Karten über die zwei Jahre zeigt, ein saisonales Vorrücken sowie einen deutlichen Rückzug der Gletschereisfront - zusätzlich zu den leichten gewöhnlichen Höhenschwankungen im saisonalen Zyklus. Daraus resultiert eine Dehnung, das sogenannte dynamische Ausdünnen. Sie führt zu der Absenkung der Oberfläche. Anhand der Karten lässt sich nachvollziehen, dass der Gletscher zwischen 2016 und 2018 den größten Teil seiner fünf Kilometer langen, schwimmenden Zunge verloren hat. Seine Höhe verringerte sich im selben Zeitraum um insgesamt 35 Metern, was etwa 35 Prozent entspricht.

Radarsatellitenmission TanDEM-X

Die Mission TanDEM-X wurde im Auftrag des DLR mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) als Projekt in öffentlich-privater Partnerschaft mit Airbus Defence and Space ins Leben gerufen. Das DLR ist verantwortlich für die wissenschaftliche Nutzung der TanDEM-X-Daten, die Planung und Durchführung der Mission, die Steuerung der beiden Satelliten und die Erzeugung des digitalen Höhenmodells.

An der Mission TanDEM-X beteiligt sind das DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme, das DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung (IMF) und die DLR-Einrichtung Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum (DFD). Diese Institute decken miteinander alle relevanten Arbeitsbereiche von der Sensortechnik und Missionsauslegung über die hochgenaue operationelle Prozessierung bis hin zu den veredelten Nutzerprodukten ab. Zusammen mit dem Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum des DLR sind sie zudem zuständig für das Bodensegment, also die Infrastruktur zum Betrieb der Satelliten, sowie der Verarbeitung der Daten. Die wissenschaftliche Leitung obliegt dem DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme am Standort Oberpfaffenhofen.

Ausblick Tandem-L

Eine mögliche Nachfolgemission zu TanDEM-X hat das DLR auch bereits entworfen: Das Tandem-L-Missionskonzept sieht zwei Radarsatelliten vor, die im L-Band (23,6 Zentimeter Wellenlänge) arbeiten und dynamische Prozesse auf der Erdoberfläche global und systematisch erfassen sollen. Ziel von Tandem-L ist es, die Landmasse der Erde im Wochenrhythmus abzubilden. Die Mission wird neue Maßstäbe in der Erdbeobachtung setzen, den globalen Wandel mit einer neuen Qualität beobachten und wichtige Handlungsempfehlungen ermöglichen. Mit der neuen Technologie könnten die dreidimensionalen Strukturen von Vegetations- und Eisgebieten erfasst werden sowie die großflächige Vermessung von Deformationen mit Millimetergenauigkeit erfolgen.

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